Mont Blanc 4 807 m Juli 2006
Das Team
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Karl H. | Peter S. |
Um es gleich vorwegzunehmen, auch bei meinem vierten Besuch im Mont-Blanc-Massiv war ich wieder voll beeindruckt von der Bergwelt rund um den "Monarchen", den höchsten Berg Europas, den Mont Blanc. Die Tage in den Westalpen sind für Bergsteiger, die meist vorwiegend in den Ostalpen unterwegs sind, immer wieder ein absolut prägendes Erlebnis. Die enormen Dimensionen der Gletscher, Eiswände und die Vielfältigkeit der Gipfelformen sind Markenzeichen dieser Region. Mont Blanc 2006 war aber nicht ganz so harmonisch wie Mont Blanc 1998 mit Petra und Charly. Daher wird diese Website auch nicht, so wie die meisten anderen, die über Berge berichten, einen eher sachlichen Bericht liefern, sondern diesmal mehr meine subjektiv-emotionalen Erlebnisse dokumentieren. Fehlende fachliche Informationen können der Literaturangabe am Ende der Website entnommen werde. Zur Grobinformation über das Gebiet und die gegangenen Routen kann ich folgende, bis auf volles Bildschirmformat vergrößerbare Skizze empfehlen.
Mont Blanc Übersicht: zum Vergrößern in die Karte klicken
In der Vergrößerung:
1. Etappe (gelb): | 1. Tag: Auffahrt von Le Fayet mit der Tramway du Mont Blanc über St.Gervais- Les Bains, Col de Voza (Anschluss von/zu Seilbahn Les Houches) bis Endstation Nid d´Aigle (1,5 St.) |
2. Etappe (grün): | 1. Tag: Aufstieg von Nid d´ Aigle zum Refuge de Tete Rousse (2 St.) |
3. Etappe (rot): | 1. Tag: Aufstieg vom Refuge de Tete Rousse zum Refuge de l´Aiguille du Gouter (2 St., exklusive der Wartezeit beim Queren des Grand Couloir) |
4. Etappe (blau): | 2. Tag: Gipfelgang vom Refuge de l´Aiguille du Gouter bis zum Dome du Gouter bzw. bis knapp unterhalb des Refuge-Bivouac Vallot (1,5 - 2 St.); Abstieg Etappe 4. bis 1. |
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Nach drei herrlichen Tagen am Gran_Paradiso geht es weiter. Durch den Mont-Blanc-Tunnel (die zweite Röhre ist bereits im Bau!) nach Chamonix und zur Übernachtung in Servoz, wenige Kilometer von Le Fayet entfernt. Aufgrund meiner Fußschmerzen haben wir uns kurzfristig für den Normalanstieg über das Refuge de l´Aiguille du Gouter entschlossen. |
Chamonix - Mont Blanc |
Schon um 09:10 soll uns die Tramway du Mont Blanc hinauf zum Nid d´Aigle bringen. Wir sind pünktlich, aber der Zug verendet nach 50 m Fahrt in der ersten Rechtskurve an der Weiche zur Remise durch einen Oberleitungsschaden. Mit den Platzkarten kommen wir dann doch, aber 1,5 Stunden verspätet, mit der nächsten Bahn zur Bergstation. Dreihundert Meter oberhalb der Endstation steht das neue La Cabane du Nid d´Aigle. |
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Tramway du Mont Blanc an der Endstation Nid d´ Aigle |
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Der Anstieg zum Refuge de Tete Rousse ist im unteren Teil steil, und mein rechter Fuß schmerzt im Rist- und Zehenbereich. Trotzdem genießen wir den Blick hinüber zur Aiguille de Bionnassay. Ab der Baraque forestiere des Rognes wendet sich der Weg nach rechts und wird flacher. Beim weiteren Aufstieg über die Felsrippe ziehen bereits Gewitterwolken auf, und wir beeilen uns, das komplett neu erbaute Refuge de Tete Rousse zu erreichen. |
Aiguille de Bionnassy beim Aufstieg zum Refuge de Tete Rousse |
Wir sind schon fast am Ende der Felsrippe, und es sind nur noch wenige Minuten zum Refuge de Tete Rousse. Das Gewitter beginnt sich zu verziehen, und wir stellen Überlegungen an, ob wir auf dem Refuge de Tete Rousse nächtigen oder doch noch heute zum Refuge de l´Aiguille du Gouter aufsteigen sollen. |
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Am Felssporn unterhalb des Refuge de Tete Rousse |
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Nach dem letzten Steilaufschwung der Felsrippe queren wir nach rechts über den Glacier Tete Rousse in Richtung Refuge. Entgegen kommende Bergsteiger aus Niederösterreich berichten uns von einer Wetterverschlechterung für morgen, was unsere Entscheidungsfreudigkeit gerade auch nicht steigert. Nach einer Stärkung im sehr modernen, fast etwas steril wirkenden Refuge de Tete Rousse entschließen wir uns weiterzugehen. |
Querung des Glacier Tete Rousse zum Refuge de Tete Rousse |
Die Querung des Grand Couloir ist heuer heikel. Während es 1979 bei meiner ersten Mont Blanc-Besteigung noch in voller Länge voll Schnee und Eis war, dafür bei der Mont Blanc Besteigung 1998 total ausgeapert, liegt heute Schnee auf vereister Unterlage. Ein etwa drei Meter hoch gespanntes Stahlseil über das Couloir bringt keinen Vorteil, es gibt häufig Steinschlag, und die Querung dauert mit übergeworfenem Seil aber zu lange. Wir queren vorsichtig, aber flott, mit Pickelsicherung. |
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Querung des Grand Couloir |
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So flach, wie er auf dem Bild ausschaut, ist der Anstieg nicht. Es gibt Versicherungen mit Klammern und Stahlseilen im Bereich des Grand Couloir und unmittelbar nachher in den ersten Steilaufschwüngen. Die letzten 100 Hm vor dem Refuge de l´Aiguille du Gouter sind dann massiv in einer Art Korridor mit zwei parallel laufenden Stahlseilen versichert. Außerdem ist die Route mit orangen Punkten, über schwierigere, aber weniger steinschlaggefährdete Stellen gut markiert. |
Blick von der Felsrippe zurück zum Refuge de Tete Rousse |
Hier von der Terrasse des Refuge de l´Aiguille du Gouter aus sieht man gut beide parallel laufende Stahlseile, die vor allem wenn Vereisung auftritt gerade im obersten, wieder steileren Teil sehr hilfreich sein können. Man sieht auch, dass zwar Karl schon im Trockenen ist, während ich mich bei Graupelschauern noch durch den Nebel hochkämpfe. |
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Die letzten Meter im Anstieg zum Refuge de l´Aiguille du Gouter |
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Der Anstieg durch die Felswand hinauf zum Refuge de l´Aiguille du Gouter hat einen Höhenunterschied von 650 Hm. Reine Gehzeit sind 1,5 -2 Stunden, wie lange man aber beim Couloir warten muss, ist nicht kalkulierbar. Es ist bei trockenen Verhältnissen eine interessante und nicht allzu schwere Kletterei, nur im Mittelteil ist Gehgelände. Durch die neue Markierung mit ziemlich gerader Linienführung ist auch ein Aufstieg bei Nacht sicher leichter als früher. |
Der Aufstieg vom Refuge de Tete Rousse zum Refuge de l´Aiguille du Gouter |
Das Refuge de l´Aiguille du Gouter ist nach wie vor als oberster Stützpunkt am leichtesten Mont Blanc Anstieg hoffnungslos überlaufen. Man müsste schon viele Monate im voraus Plätze reservieren, um in den Genuss eines wirklichen Schlafplatzes zu kommen. Da Karl und ich uns vorerst noch andere Optionen offen halten wollten (Überschreitung von der Aiguille du Midi) und erst sehr kurzfristig umdisponiert haben, stehen wir jetzt ohne Schlafplatz da! |
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Auf der Terrasse des Refuge de l´Aiguille du Gouter |
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Die Überfüllung des Refuges macht sich auch beim Abstellen des Gepäcks bemerkbar. Entweder man harrt bis zum bitteren Ende bei seinem Rucksack aus, oder man findet ihn, wenn man sich anmaßt, sich um Getränke anzustellen, nachher erst nach langem Suchen in irgendeiner anderen Ecke des Hauses wieder. Einzelstücke kurz zu deponieren bedeutet, erst am nächsten Vormittag, wenn das Haus leer ist, eine Chance zu haben, sie wieder zu finden. |
Im Vorraum des Refuge de l´Aiguille du Gouter |
Die Nacht im Refuge ist schrecklich. Wir bekommen zwar bei voller Lagergebühr doch noch einen Schlafplatz, aber am Boden oder auf einem der Tische. Unser Ansinnen, etwas zum Essen zu bekommen, wird hingegen vom Hüttenwart mit der Begründung abgelehnt, der Vorrat reicht nur für Gäste, die vorgebucht haben! Außerdem ist das Hüttenpersonal samt Chef unfreundlich und überheblich! Das Abendessen besteht aus Müsliriegel und Tee! (Eine Tasse Tee € 4,50). |
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Speise- und "Schlafraum" im Refuge de l´Aiguille du Gouter |
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Ich schlafe die ganze Nacht nicht, der Tisch ist mir zu hart, und ich weiß nicht, wie ich den Fuß lagern soll. Um Mitternacht kommt ein heftiges Gewitter, der Weg zu den externen Toiletten ist rutschig vom Neuschnee. Trotzdem werden wir um 1 Uhr 30 früh von den Tischen heruntergeholt, wir würgen wieder ein paar Müsliriegel mit Wasser hinunter, weil die Bergführer mit ihren Gruppen ja Vorrang beim Frühstück haben. Wir seilen an und stapfen bei starkem Wind und Schneetreiben los. |
Sturm und Schneetreiben beim Aufbruch um 2 Uhr früh |
Zuerst geht es noch flach in Richtung Dome du Gouter, dann kommen die Serpentinen hinauf zum Dome du Gouter. Der Wind wird heftiger und bläst mich, da ich mich mit dem Kurzpickel nicht abstützen kann, wiederholt aus der Spur, und der rechte Fuß schmerzt beim Höhersteigen. Kurz vor dem Dome du Gouter drehe ich um, Karl geht allein weiter. Beim Rückweg ist die Spur an manchen Stellen schon verweht. Ich lege mich in der Hütte wieder auf meinen Tisch. |
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Am Dome du Gouter mit Blick zum Col du Dome und Refuge-Bivouac Vallot |
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Natürlich kann ich auch jetzt nicht schlafen. Nach und nach kommen auch andere Bergsteiger wieder zurück. Nach etwa 1,5 Stunden ist auch Karl wieder da. Als auch die Bergführer aufgrund des beginnenden Höhensturms und der sich nähernden Gewitterfront umdrehen, tritt Karl knapp unterhalb des Refuge-Bivouac Vallot den Rückzug an. Wir beschließen, um dem Massenabtrieb auszuweichen, den sofortigen Abstieg anzutreten. |
Rückkehr in der Dämmerung zum Refuge de l´Aiguille du Gouter |
Nach einigen vereisten Höhenmetern ist es ein problemloser Abstieg zum Refuge de Tete Rousse. Trotz aller Vorkommnisse und Belastungen sitzen wir jetzt ruhig und entspannt beim Frühstück im ruhigen Refuge. Wir schauen dem Hubschrauber zu, der die Hütte mit Material beliefert und Müll abtransportiert, wir sehen die Schneefahnen hoch oben am Grat und die schnell ziehenden Wolken und erahnen den Höhensturm, der tausend Meter höher tobt. Wir haben Zeit, für den nächsten Zug ist es schon zu spät, für den übernächsten haben wir viel Zeit. Wir packen die Sturmkleidung in die Rucksäcke und machen uns gemütlich auf den Weg. Am Ende der oberen Felsrippe vor dem flachen Teil hinüber zur Baraque forestiere des Rognes passiert es. Gerade in einer Spitzkehre bleibe ich mit dem rechten Fuß an einem Felszapfen hängen und fliege laut Karl, der schon eine Serpentine tiefer steht, etwa zehn Meter tief, mich zweimal überschlagend, zu ihm hinunter. Ein größerer Felsblock, auf den ich mit dem Kopf aufschlage, bremst meinen überstürzten Abstieg. |
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Die Absturzstelle auf der Tete Rousse Rippe |
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Zum Glück nicht bewusstlos, beuge ich mich schnell nach vorn, um das Blut nicht über den Körper laufen zu lassen. Karl eilt herbei mit den Worten: "Das schaut nicht gut aus!" und leistet hervorragend erste Hilfe. Eine größere Rissquetschwunde am Kopf, eine zerquetschte Lippe und eine verletzte Hand sind die ersten merkbaren Verletzungen. Dann setzt der Schockzustand ein. Nach einer Viertelstunde versuchen wir den weiteren Abstieg, doch in meinem Zustand geht es sehr langsam. |
Im Schockzustand |
Auch zwei deutsche Bergsteiger helfen mit, mich hinunterzubringen, doch durch die Sicherungsmaßnahmen geht es sehr schleppend. Zwei Stunden Abstieg, eine Stunde Warten auf der Bergstation, eineinhalb Stunden Talfahrt und dann erst mit der Rettung ins Spital, das ist zuviel. Das merkt auch ein französischer Bergführer und alarmiert die Flugrettung. Es dauert nur wenige Minuten und der Helikopter der Berggendarmerie ist schon im Anflug. |
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Anflug des Helikopters der Berggendarmerie |
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Nach Ortung der Unfallstelle setzt der Helikopter der Berggendarmerie frei schwebend mitten im Steilgelände eine Kufe auf einen Felsblock auf, und ich klettere mit Hilfe des Bergführers in das Fluggerät. Ein kurzer Panoramaflug zum Base der Flugrettungsstaffel, Erstversorgung und dann mit der Rettung in das Spital Chamonix. Nach Röntgen und Verkleben der Rissquetschwunden Entlassung. Karl und ich fahren nach Argentiere und feiern am Abend meinen "Geburtstag". |
Ab in den Flieger und in das Spital nach Chamonix |
Resümee: Nach drei erfolgreichen Besteigungen bei bestem Wetter und idealen Bedingungen (1977, 1986 und 1998) war heuer der vierte Versuch nicht so erfolgreich. Es war trotzdem ein Erlebnis und ein Sammeln von Erfahrungen. Es muss schon die Überlegung angestellt werden, inwieweit man bei der Besteigung des Mont Blanc der Gouter-Hütte ausweichen kann. Aufstieg in einer Etappe von der Tete Rousse Hütte (wie 1998), der italienische Normalanstieg, oder von der Aiguille du Midi bzw. dem Refuge des Cosmiques, das wären drei Alternativmöglichkeiten. Der An- bzw. Abstieg über Grands Mulets ist nach Auskunft von Ortskennern derzeit aufgrund des Gletscherzustandes nicht zu empfehlen. Der krönende Abschluss der Mont Blanc Tage, "mein überstürzter Abstieg", hatte sicherlich verschieden Ursachen. Kein Schlaf, wenig Essen und auch die alten Schalenschuhe, die, wie sich erst im Nachhinein heraus gestellt hat, mir seit dem Gran Paradiso eine schmerzhafte Sehnenscheidenentzündung im rechten Fuß beschert haben. Dank an meinen Freund Karl Heller für Begleitung, für die professionelle Erste Hilfe und für seine in die Website eingebunden Photos. |
Interessante Links: Mont Blanc1, Mont Blanc2, Mont Blanc3 |
Literatur: Hartmut Eberlein,
Mont-Blanc-Gruppe (Gebundene Ausgabe) Karte: IGN 3630 OT Chamonix Institut Géographique National, 1:25000 |