Wildes Gamseck (II)

(Kahlmäuer - Hinternaßwald)

 

Anfang der 70er Jahre, nach meiner Alpinausbildung, kam ich auch in das stille Eck der hinteren Rax zurück. Schon als Kind war ich mit meinen Eltern, als das alte "Binder Wirtshaus" bei der Talstation der Materialseilbahn zum Habsburghaus noch bestand und auch die Zufahrt mit PKW noch möglich war, oft und gerne hier. Jetzt nach etwa 35 Jahren wiederhole ich gerne aus nostalgischem Blickwinkel diese Touren und suche auch nach neuen Varianten. Vor allem der Zustieg vom Parkplatz Hinternaßwald durch die Reißtalklamm und über den Rehboden ist immer wieder eine wunderbare Einstimmung auf die Touren im Bereich der Kahlmäuer.

Blick vom Einstieg Richtung Rehboden, Reißtalklamm und Hinternaßwald

 
   

Heute hat mein Kletterpartner Karl, ein absolut ortskundiger einheimischer Abenteurer, einmal nicht verschlafen und wir steigen flott in 1 St. und 15 Min. von Hinternaßwald und ab der Materialseilbahn über die "Hohe Nasz" (Naßriegel) zum Naßkamm auf. Noch ziehen Restnebel über den Naßkamm und die Kahlmäuer, und wir genießen die Ruhe in diesem wunderschönen Bereich der Rax.

 

Sattel Naßkamm

   

Beide noch an den Folgen einer hartnäckigen Grippe laborierend, geben wir es ab jetzt etwas billiger. In schon gemäßigtem Tempo steigen wir über den Naßkamm, vorbei an der Zimmermannhütte, hinauf zum kleinen Sattel und der Wegteilung beim Grabnergupf. Auf deutlichem, aber nicht markiertem Steig bummeln wir links den Rücken hinauf zum Einstieg des Wilden Gamseck und freuen uns auf die bevorstehende Kletterei.

Rücken Naßkamm mit Blick zur Schneealpe

 
   

Das Gamseck und die Kahlmäuer waren in der alpinen Erschließung der Rax in der zweiten Hälfte des 19. Jh. das Klettergebiet schlechthin. Berühmte Kletterer wie Lammer und Zsigmondy und viele andere Größen der damaligen Zeit erschlossen in diesen Wänden, die sicherlich auch schon damals recht brüchig waren, viele zum Teil auch nach ihnen benannte Routen. Jetzt kann dieses Gebiet sicherlich keine Spitzenkletterer mehr in dieser Form begeistern, bei Klettersteiggehern jedoch und Naturliebhabern ist es höchst beliebt, das zeigt auch der hoffnungslos überfüllte Parkplatz  in  Hinternaßwald an schönen Wochenenden.

 

Gamseck - Kahlmäuer

   

Wie Karl Lukan in seinem Buch "Wenn die Wände steiler werden" schreibt: "...ganz langsam geht eine Veränderung vor sich, von der noch jeder angenommen hat, dass sie >ein Zeichen der Reife< sei. Man fühlt sich nach wie vor aktiv, doch bei Wegkreuzungen wählt man lieber den bequemeren Weg. Und wenn man dann gar nicht mehr zu Wegkreuzungen hingeht, dann ist es bereits passiert...". So ähnlich fühle ich mich am Einstieg. In meiner Erinnerung, als ich vor 35 Jahren das Wilde Gamseck ging, war es ohne Bedenken ein lockeres, gedankenloses  Hinaufturnen über einfaches Gelände , so wie ich auch den Haidsteig im Auf- und Abstieg ohne jegliche Sicherung gegangen bin. Jetzt um viele Erfahrungen reicher, sehe ich auch sehr wohl die Gefahren, die vor allem auf leichteren Routen immer latent sind.

 

Wildes Gamseck - Einstiegswand

 

 
     

Auszug aus: Benesch-Pruscha-Holl, Führer auf die Raxalpe 

Die Naturfreunde, Wien 1973 (R 627)

(Rote und blaue Markierungen ab dem Gamseckturm)

Vom Sattel hinter dem Hohen Gupf am Rücken empor (der Gamsecksteig quert die Hänge zur Rechten) zum Naßkamm und zum etwas dem Wandfuß vorgebauten Gratturm. Am dreieckigen Gamseckturm an der rechten Flanke etwa 10 Meter empor, über ein Schartel und auf einem Band eben um den Turm herum in eine rote Felsrinne, die in die Gamseckscharte emporführt. Dann rechts über eine 3 m hohe Stufe und eine schräge Rinne auf den Grat, ...weiter über einen schulterartigen Felsbuckel in einen Kamin hinauf. Bevor er überhängend wird, links in eine abbrechende Rinne und lotrecht durch den rechten von zwei sich fortsetzenden Kaminen gerade empor an die Wand des Gamseckgrates. Weiter um eine Ecke herum und durch eine bandartige Rinne links von einer Schlucht auf den Hauptgrat. Zuletzt einen gespaltenen Turm überschreitend neben der Schneide zur Hochfläche.

 

Wildes Gamseck - Oberer Wandteil

   

Relativierend zu den Texten der letzten beiden Bilder: Das Wilde Gamseck ist ab den ersten Kletterstellen beim Gamseckturm gut mit roten und blauen Markierungen versehen. Neue und in regelmäßigen Abständen gesetzte Bohrhaken ermöglichen auch eine Begehung mit Seilsicherung, wenn auch bei der Seilbedienung sehr darauf zu achten ist, keinen Steinschlag zu erzeugen. Es gibt keine richtigen Gehstellen, man bewegt sich fast immer im Bereich -II bis II, wobei einige IIer Stellen auch leicht abdrängend und ausgesetzt sind. Die Ausgesetztheit ist vor allem im Abstieg augenfällig. Die Benützung eines Steinschlaghelms muss empfohlen werden. Vom Naßkamm bis Gipfel Gamseck (1857 m) braucht man ca. 2 St.

Wildes Gamseck - Die letzten Grattürme

 

Auch wenn "die Wände steiler geworden sind", ich fühle mich schon wohl  unten beim Einstieg. Alles schön gestuft und auf der "Ideallinie" verhältnismäßig fester Fels. Einige "Wandeln" drängen etwas ab, und manche Querungen sind auch etwas luftig. Karl und ich genießen diese Tour und den prachtvollen Tag, er blickt oft hinunter Richtung Naßwald, in seine "Heimat", ich habe genügend Zeit, meine Photos zu machen. War der Fels im unteren Wandteil noch kalt und die Finger einigermaßen klamm, umso wohltuender ist das Erreichen der Sonnenseite im obersten Gratbereich. Nach einer geruhsamen Rast beim Gipfelkreuz des Gamseck (1857 m) Übergang zum Habsburghaus (1 St.) und Abstieg über den  Kaisersteig (2 St.) zurück zum Parkplatz Naßwald. Den Abstieg über den Peter-Jokel-Steig verwerfen wir aus Gründen der Knieschonung. Weitere Varianten ab Gamseck wären, knapp oberhalb der Grasbodenalm über die Wildfährte (A-B)  oder unterhalb der Grasbodenalm den Bärengraben links über das Bärenloch (B) abzusteigen. Bei geeigneter Rückfahrmöglichkeit ist auch eine Plateauüberschreitung (ev. mit Heukuppe 2009 m) Richtung Prein oder  Raxseilbahn zu empfehlen.

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